Interviewter: Dr. Joachim Reiss Stelle: Vorstandsmitglied des Forschungscampus STIMULATE Interviewer: Julian Rudat Datum: 12.07.2021
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Interview:
Herr Dr. Joachim Reiss ist einer von drei Vorstandsmitgliedern des Forschungscampus STIMULATE und stellt seit fünf Jahren den Schulterschluss zum STIMULATE-Partner Siemens Healthineers her. Beim selbigen Unternehmen hat er die vergangenen 17 Jahre die Forschungs- und Entwicklungsabteilung der Angiografie geleitet.
Herr Reiss, wie kamen Sie zum Vorstandsposten am Forschungscampus STIMULATE?
Antwort: Vor einigen Jahren bin ich bei Siemens Healthineers mit der Universität und der Universitätsklinik Magdeburg in Kontakt gekommen. Um in einer Medizintechnikfirma das medizinische Knowhow der Entwicklungsabteilungen zu unterstützen, ging es dabei zunächst um die Organisation klinischer Weiterbildungskurse für Ingenieure. Weiterhin waren wir auf einem von Herrn Prof. Rose initiierten Workshop in Österreich vertreten und haben demonstriert, wie Siemens Healthineers als Firma faktisch den Markt der Medizintechnik bewegt. Sodann diskutierten wir, befördert von meinem damaligen Chef, Herrn Dr. Heinrich Kolem, eine Forschungszusammenarbeit mit der OvGU zu unterstützen. Bei den Gründungen der Forschungscampi, einer Initiative des BMBF, haben wir uns somit eingebracht und ich besetzte einen der Vorstandsposten.
Was sind Ihre Aufgaben als Vorstandsmitglied bei STIMULATE und inwieweit können Sie dabei Entwicklungen mitgestalten?
Antwort: Ich sehe mich in der Verantwortung, zukunftsfähige Strategien zu entwickeln und den notwendigen Schulterschluss zwischen der Klinik und der Forschung herzustellen. Meine tiefste Überzeugung ist bei allem, dass Ingenieure wissen müssen, wie ihre Geräte in der klinischen Praxis angewendet werden. Andererseits bringe ich Erfahrungen, die ich bei STIMULATE und in der Klinik sammle, auch bei Siemens Healthineers ein. Somit ist es ein symbiotischer Nutzen, den alle Parteien durch mein Mitwirken erfahren. Des Weiteren setze ich mich dafür ein, dass anonymisierte Patientendaten für die Forschung von den unterschiedlichen Forschungsgruppen genutzt werden können. Damit sind wir in der Lage, Innovationen in der Medizintechnik anhand klinischer Daten voranzubringen.
Wie konnten Sie bislang Ihre Arbeit und Erfahrungen bei STIMULATE einbringen? Gibt es ein persönliches Interesse, das Sie dazu bewegt?
Antwort: Damals bestand mein persönlicher Antrieb darin, dass wir in der Angiografie für bestimmte klinische Prozeduren Vorreiter in der minimal-invasiven Therapie waren. Solche innovativen Entwicklungen entstehen nur dann, wenn unsere Mitarbeiter nicht nur auf ihrem Fachgebiet geschult sind, sondern auch klinisches Knowhow vermittelt bekommen. Mit dieser Intention entstand die sogenannte Kolem-Schule, welche klinisches Wissen sowohl in praktischen als auch theoretischen Kursen vermittelt. So werden die Mitarbeiter auch heute noch in sechs Schulungsblöcken direkt in der Klinik praktisch zu MR-, CT-, Angiografie- und Ultraschallsystemen in klinischer Umgebung geschult. Die notwendige theoretische Ausbildung dazu wird dann bei STIMULATE durchgeführt und mit einem kurzen Abschlusstest ergänzt.
Trotz Ihrer Verrentung bei Siemens Healthineers stecken Sie immer noch viel Zeit in das Projekt. Was ist Ihr persönliches Interesse daran, was treibt Sie an weiterzumachen?
Antwort: Wir befinden uns nunmehr bei STIMULATE in der zweiten Förderphase. Dabei ergeben sich stetige Änderungen. Unter anderem auch bei den Strategien, die man sowohl auf Seiten von STIMULATE als auch bei Siemens zu entwickeln hat. Mich treibt dabei vor allem die Entwicklung oder Verbesserung der multimodalen Bildgebung an. Wie kann man die Durchführung onkologischer Therapien durch bildgebende Elemente des CT, MR, Röntgen oder auch Ultraschall unterstützen, um letztendlich therapeutische Prozessabläufe bestmöglich oder auch in Kombination durchzuführen? Dabei liegt mein persönliches Interesse speziell darin, Ingenieure und Kliniker an einen Tisch zu bringen, um ein optimales Ergebnis in der klinischen Anwendung zu erzeugen. Durch meine langjährige Erfahrung in der Arbeit mit Technologiefirmen und Medizinern kann ich die internationale Zusammenarbeit befördern. Ich kann weltweit Kontakte zu Forschern (Prof. Charles Strother, einer der führenden Neuroradiologen in der Welt hat auf der letzten IGIC-Konferenz in Magdeburg einen keynote-Vortrag gehalten) wie auch Anwendern herstellen und globale medizintechnische Probleme analysieren und die Lösungen bei Siemens Healthineers sowie STIMULATE vorantreiben.
Wie hat sich der Forschungscampus STIMULATE Ihrer Meinung nach entwickelt, was ist dessen Alleinstellungsmerkmal?
Antwort: STIMULATE bewegt sich mittlerweile weit über die Entwicklung der angiografischen Bildgebung sowie der Hardwareentwicklung für die Magnetresonanztomographie hinaus. Durch die Thematik der Interventionen ist nunmehr das Anwendungsspektrum deutlich erweitert. Dies betrifft alle Bildgebungsmodalitäten, wie MR-, CT-, Röntgen- und ultraschallgestützte Interventionen. In der Onkologie ist heute schon absehbar, dass der Trend und eine gängige Therapieform der Tumorbehandlung die Ablation sein wird. Die immer weitere Unterstützung durch Softwareimplementierungen und die Anwendung der künstlichen Intelligenz wird eine zunehmend große Rolle spielen.
Sie haben heute noch einen langen Tag vor sich. Was erwartet Sie noch bei uns am Speicher B?
Antwort: Ich freue mich, dass ich von Forschungsgruppen zu Diskussionsrunden eingeladen worden bin. Dabei schaue ich gespannt auf innovative Entwicklungen, wie z.B. die Robotik im MR-Bereich, wo ich als eine Art Coach oder helfende Hand zur Seite stehen kann. Mein Kollege Dr. Kolem unterstützt beratend die Forschungsgruppe der CT-Interventionen. Wir beide sind bei Siemens ausgeschieden, haben aber immer noch größte Freude daran, medizinische und medizintechnische Probleme zu verstehen und, bedingt durch unsere langjährige Erfahrung, Hilfestellungen bei der Problemlösung zu geben. Außerdem wollen wir jungen Wissenschaftlern bei Ausgründungen mit unseren Erfahrungen der Leitungstätigkeit in der Industrie zur Seite stehen.
Vielen Dank für Ihre Zeit, Herr Dr. Reiss!
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